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Ist Koffein das neue Nikotin?

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Es gibt eine Theorie, meine Damen und Herren, nach der die Anzahl von Starbucks-Filialen in einem Land positiv korreliert sei mit dessen gesamtwirtschaftlichem Finanzchaos. Die Argumentation geht ungefähr so: Je mehr Starbucks-Läden ein bestimmter Finanzplatz aufweist (in Manhattan und London City zum Beispiel sind es um die 200), desto aggressiver, überdrehter, ungehemmter benehmen sich die Marktteilnehmer bei ihren Transaktionen. Natürlich ist eine solche Betrachtung ein bisschen milchmädchenmässig, aber jenseits des vermeintlichen Zusammenhangs illustriert sie einen anderen, unstrittigen Punkt: Fest steht, dass Kaffee für den Geschäftsmann, speziell für den modernen Finanzgeschäftsmann, die Zigarette ersetzt hat – aber vor allem für viele Börsenhändler nicht die einzige Droge ist.

Jedenfalls tauchen gerade jetzt, nach krisenhaften Zeiten, und besonders, wenn wieder irgendein einzelner Investmentbanker das Nettosozialprodukt von Angola verspielt, gerne Überschriften auf wie: «Es fliesst viel Champagner, und manche greifen zu Kokain». Gemeint ist der Lebensstil der Wertpapierhändler, in der veröffentlichten Wahrnehmung ohnehin nicht gerade wohlgelitten, und dazu passen dann Vorstellungen vom jungen, hybriden Dealer, der in der flimmernden Hektik des Handelsparketts seine Boni unter Hyänenlachen mit kokaingefütterten Spekulationen in die Höhe treiben will. Und neben dem schnellen und harten Spiel mit Unsummen, bei dem der Deal selbst zur Droge wird, eine ebenso exzessive Rekreationskultur pflegt: Nicht nur Alkohol und Aufputschmittel, sondern auch Schmerztabletten, Antidepressiva oder Tranquilizer scheinen zum alltäglichen psychoaktiven Konsum vieler gehobener Bankangestellter zu gehören. Was man früher mit dem Showgeschäft assoziierte, findet sich heute im Trading Room. Dergestalt präsentiert sich unsere Gegenwart, meine Damen und Herren.

Dazu passt hervorragend die pseudo-neue Lehre von der «Refeudalisierung der Ökonomie», mit der natürlich namentlich in Deutschland gewisse Soziologen die sogenannte Finanzaristokratie im Sinne des verrückten Karl Marx wiederauferstehen sehen wollen: als eine hermetische, privilegierte Managerklasse, deren Mitglieder sich gegenseitig auf Kosten der Anteilseigner Privilegien zuschanzen, während sie ansonsten das Leistungsprinzip suspendiert und durch prassenden Geltungskonsum ersetzt haben. Da stehen den selbsternannten Empörten von der so genannten Occupy-Bewegung pflichtschuldig die mässig frisierten Haare zu Berge. Die Starbucks-Theorie wird ergänzt um Studien, die einen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Börsenfluktuationen postulieren. Dopingkontrollen für Aktienhändler werden gefordert.

Ich hingegen möchte hier in bewährter Nüchternheit, wie sie (fast) allen Geschäften zugute kommt, die Frage stellen: Kann man ohne Stimulanzien handeln? Die Antwort ist simpel: na klar. So wie man Baseball ohne Steroide spielen kann. Die nächste Frage ist, wie weit man dann kommt. Hierzu eine Anekdote, die der britische Schauspieler Jeremy Irons neulich in «Newsweek» zum besten gab: Herr Irons fand sich vor etlichen Jahren an einem Wohltätigkeitsdinner platziert neben der seligen Diana, Königin der Herzen, die gerade im Mittelpunkt eines ziemlich schlechten Films steht («Wesley Snipes in a blonde wig would be more convincing») und vor einiger Zeit im Mittelpunkt einer ziemlich guten Geschichte in «Vanity Fair». Wie dem auch sei: Herr Irons wünschte also damals nach dem Essen eine Zigarette zu rauchen. So fragte er die Prinzessin, ob sie das störe. Diese erwiderte, es störe sie nicht, jedoch sei es gesünder, nicht zu rauchen. Seine Reaktion darauf schildert Irons so: «Während ich der Prinzessin grundsätzlich zustimmte, erklärte ich zugleich, dass mein Beruf zahlreiche Gesundheitsbelastungen mit sich bringe, von denen einige durch das Rauchen gemildert würden.» Diese geistreiche Erwiderung umschreibt eine grundlegende Variante der condicio humana: Man macht das Spiel mit, man liebt es auch, aber man braucht gelegentlich eine Kompensation, um es auszuhalten. Oder, in den Worten Frank Sinatras, der in seinem langen Leben alles mögliche konsumiert hat: «That's life.» Allerdings ist nicht jeder ein Sinatra.

Und damit zurück in den Trading Room: Wahr ist ebenfalls, dass viele Menschen durch Drogen weder produktiver noch schöpferischer noch auch nur interessanter werden. Das gilt gewiss für die allermeisten Hedgefonds-Manager. Denn (fast) niemand, egal wieviel Kohle er macht oder Koks er zieht, ist unersetzlich in Geschäften. Das ist das Dilemma des Geschäftsmanns seit jeher. Und darüber sollte man sich höchstens mit Kaffee hinwegtrösten. Alles andere wäre Vergeudung. Also unökonomisch.


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